Versand: Von wegen weniger

Mein Kollege in den USA hat ein Poster an der Tür mit einem "Danke" an die Post- und Paketzusteller. (Bild: Bill Hughes)
Haben Sie sich schon einmal gefragt, was eigentlich passiert ist in diesen surrealen Wochen, in denen ein neuartiges Virus die Welt auf den Kopf stellt und alle Aspekte unseres Lebens berührt? Innerhalb von Tagen wurde in Deutschland aufgrund der Kontaktverbote die Digitalisierung zur Pflicht für alle. Plötzlich hieß es Homeoffice. Plötzlich hieß es, nicht mehr den gewohnten Weg ins Büro zu nehmen.
In vielen Branchen müssen nun Unternehmen seit über einem Monat improvisieren, umstrukturieren und neu ordnen, um ihren Betrieb trotz aller Einschränkungen aufrechtzuerhalten. Die schnellste und einfachste Antwort auf diese Herausforderungen ist dabei im digitalen Raum zu finden: Kooperationslösungen und Videokonferenzsysteme erlauben eine einfache Kommunikation in Echtzeit. Wer bereits vor dieser forcierten Digitalisierung Microsoft Teams, Slack, Zoom oder ähnliche Anwendungen als Standard eingeführt hatte, ist nun klar im Vorteil.
Alles digital – auch die Briefpost?
Man könnte meinen, dass die analoge Kommunikation - im Speziellen Briefe - nun einbricht. Für die Geschäftswelt müssen wir dabei zweierlei betrachten: das Transaktionsvolumen auf der einen Seite und Werbepost auf der anderen Seite.
Was sich in unseren Gesprächen mit Kunden und Postgesellschaften in ganz Europa gezeigt hat:
Das Werbevolumen hat sehr schnell abgenommen und ist in den letzten Wochen um rund 20% eingebrochen. Einzelhändler etwa haben jetzt wochenlang keine Werbung verschickt, um Leute in ihre Filialen zu locken, weil die einfach geschlossen waren oder immer noch sind.
Transaktionsvolumen weist dagegen eine größere Stabilität auf. Rund 60% der täglichen Geschäftspost machen Rechnungen aus – und deren Volumen ist nur ganz minimal zurückgegangen. Auch die sonstige geschäftsübliche Korrespondenz scheint nur wenig beeinträchtigt. Das sehen wir auch bei unseren Kunden: Fast alle haben ihre Frankiermaschinen aktiv bei uns angemeldet und laden Porto im normalen Umfang.
Derweil erhält auch die eRechnung Zulauf, nicht aber aufgrund von Corona-bedingten Schnellschüssen, sondern als erwarteter Anstieg im Rahmen der täglichen Arbeit. Der tiefe Eingriff in Unternehmensprozesse benötigt naturgemäß etwas Zeit, doch die Voraussetzungen dafür sind mittlerweile sehr gut, auch für hybride Formen, also die Kombination aus digitalen und analogen Rechnungen.
Abrupter Ansturm auf Auslieferer …
Eine gänzlich andere Situation sehen wir im Paketversand. Die Geschäfte sind zu, wir bleiben zuhause und kaufen online ein – aber anders als gewohnt:
Anstelle von Unterhaltungselektronik und Mode bestellen wir jetzt mehr Dinge des alltäglichen Lebens. Die Nachfrage nach Lebensmitteln, Büchern, Pflege- und Hygieneartikeln sowie Apothekenprodukten hat stark zugenommen. Auch Hand- und Heimwerkzubehör stehen hoch im Kurs.

Mein Kollege Philip Koch nennt Zahlen und die Herausforderungen im Teams-Meeting – links auf der Folie.
Diese Lage führt zu einem exponentiellen Anstieg des Paketvolumens, was zunächst einmal der Paket- und Kurierbranche einen starken Geschäftsauftrieb beschert und vielen Chancen schafft, von dem Wachstum zu profitieren.
Auch für lokale Händler bietet das eine Möglichkeit, ihr Geschäft weiter zu betreiben. Städte, Kommunen und auch Wirtschaftsunternehmen haben begonnen, kleinere Einzelhändler einzubinden, die eine groß angelegte Koordination und Lieferung gar nicht selbst stemmen können.
Unsere lokale Buchhandlung vor Ort in Tönisforst etwa greift auf das Logistiksystem eines Buchgroßhändlers zu. So erhielt ich flott mein dort bestelltes Buch nachhause geliefert, trotz geschlossenem Laden.
… und die Auswirkungen
Auf der anderen Seite sind trotz übervoller Auftragsbücher die Unternehmen der Logistik-Branche von den gleichen Einschränkungen bezüglich Kontaktverboten und verschärfter Hygienevorschriften betroffen wie alle anderen auch.
Die offensichtlichen Auswirkungen sehen wir bei der kontaktlosen Paketübergabe. Wo in Häusern mit nur einem Empfänger die Herausforderung bei der Abstellung noch überschaubar ist, machen Hochhäuser und Mehrparteienhäuser die Situation für die Zusteller wesentlich komplizierter. Einerseits müssen sie die Pakete an genau die richtige Person übergeben – und gleichzeitig jeglichen persönlichen Kontakt vermeiden.
Die Folgen für die internen Prozesse sind noch drastischer: Im Schichtbetrieb der Sortierzentren z.B. müssen die Paketdienstleister etwa immer die gleiche Mitarbeiterbesetzung pro Schicht aufstellen und den Kontakt zwischen unterschiedlichen Schichten unterbinden. Sollte sich ein Mitarbeiter mit dem Corona-Virus infizieren, wird das Team der jeweiligen Schicht isoliert. Eine größere, unkontrollierte Ansteckung wird so verhindert.
Und wir an der Tür?
Wenngleich wir durch diese Widrigkeiten leichte Verzögerungen sehen, sind alle großen Paketdienstleister schon in der Lage, ihren Standard zu halten und die angebotenen Services auch zu erbringen. Einen ganz großen Anteil daran, dass wir alle unsere Pakete erhalten, haben die Zusteller, die unter erschwerten Umständen hervorragende Arbeit machen.
Viele Verbraucher haben Verständnis dafür, dass es derzeit etwas länger dauern kann, bis die Bestellung ankommt. Eine Minderheit ist so auf Premiumservice konditioniert, dass sich die Kunden schnell und manchmal lautstark bei den Dienstleistern beschweren, insbesondere über die sozialen Medien. Teilweise stornieren diese ihre Bestellung oder nehmen sie einfach nicht an, wenn sie nicht zum vereinbarten Zeitpunkt geliefert wird.

Ich habe dementsprechend Riesenrespekt vor allen Menschen, die in dieser Branche arbeiten trotz der hohen Belastung sowie der Sorge vor einer möglichen Ansteckung. Wenn die Zusteller dann auch noch mit einer erstaunlichen Freundlichkeit auftreten, wie ich das gerade erlebe, ist das aller Ehren wert.
Ganz klar zusammengefasst: Brief- und Paketversand sind systemrelevante Bestandteile einer Gesellschaft und es ist enorm wichtig, dies aufrechtzuerhalten. Danke an alle, die dabei mitwirken – und dabei denke ich natürlich auch an unsere Mitarbeiter hier in Deutschland und weltweit.
Artikel von Burkhard Heihoff, Geschäftsführer Pitney Bowes Deutschland GmbH.
Der Beitrag wurde erstmals am 28. April 2020 auf LinkedIn veröffentlicht.